Empowerment: Wo virtueller Feminismus seine Grenzen hat
Die Zahl der Beiträge mit dem Hashtag #feminism wächst auf Instagram– doch das weibliche Empowerment hat allein durch männliche Algorithmen seine Grenzen.
Quelle: Miguel Bruna/Unsplash/Robert Günther/dpa
Wo normierte Körperbilder vom Algorithmus bevorzugt werden, versuchen immer mehr Frauen, sich für ein gesundes Selbstbewusstsein und weibliches Empowerment einzusetzen. Sie zeigen Speckröllchen, machen ihrer Community verbal Mut und sagen Sexismus den Kampf an. Dabei steht Hate-Speech für Influencerinnen, die den Takt vorgeben, auf der Tagesordnung.
Wenn Tara auf Instagram jemanden „stitcht“, also ein Video von anderen in ihr eigenes einbettet, um darauf zu reagieren, sind diese anderen meistens männlich, jung und auffällig. Sie zeigen sich halb nackt in der Badewanne, parodieren Frauen, die ihre Periode haben, oder erklären, „worauf Männer wirklich stehen“– nämlich auf „Wäsche waschen, putzen und kochen“. „Also auf ihre Mutter“, antwortet Tara dem Herren im letzten Clip und zieht die Augenbrauen hoch. 34.000 Userinnen und Usern gefällt das.
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Unter dem Namen „wastarasagt“ macht sich die 31-jährige Kulturwissenschaftlerin und Autorin Tara Wittwer auf Social Media für Frauen stark. Angefangen hat ihr Dasein als Influencerin deutlich simpler– mit Beiträgen aus den Bereichen Food und Beauty. „Im Februar 2019 hatte ich die Nase voll“, erinnert sie sich. „Ich hatte keine Lust mehr, Lippenstift zu bewerben, und fing an, Texte zu schreiben.“ Heute fokussiert die Berlinerin in ihren Videos Themen wie Gleichberechtigung, Misogynie und Feminismus, 147.000 Nutzerinnen und Nutzer verfolgen sie dabei.
Die 31-jährige Tara Wittwer ist Influencerin. In ihrer Biografie bei Instagram nennt sie sich selbst „humorlose Feministin“.
Quelle: Tara Wittwer
#feminism– das weibliche Empowerment im Netz ist laut
Wittwer ist damit Teil einer Bewegung, die „seit einigen Jahren viel Platz in den sozialen Medien einnimmt“, sagt Hanna Klimpe, Professorin für Social Media an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg. Fast zwölf Millionen Beiträge zählt etwa bei Instagram der Hashtag #feminism, entsprechende Accounts genießen eine große Reichweite. Selbst eigene Netzwerke mit dem Ziel, soziale Medien zu einem geschützten Raum für Frauen zu machen, bietet die große weite Welt des Internets mittlerweile: So versprechen etwa die Gründerinnen der App „Herd“ eine Plattform frei von Hassrede, Werbung oder Fake News– mit Algorithmen aus weiblicher Feder.
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Feminismus und Algorithmen aus männlicher Feder: Geht das?
Algorithmen seien es auch, die Bilder von Schönheitsidealen bei Instagram bevorzugten– und mit denen andere Inhalte, etwa feministische Beiträge, dann konkurrierten: „Das Körperbild, insbesondere von jungen Frauen, wird von Instagram stark negativ beeinflusst“, sagt Social-Media-Expertin Klimpe, und berichtet: „Größtenteils wurden diese Algorithmen von Männern programmiert und bevorzugen daher bewusst oder unbewusst bestimmte Formate.“ Die Algorithmen der zu Facebook gehörenden App seien darauf ausgerichtet, möglichst normierte Körperbilder zu erzeugen.
Denn trotz zahlreicher großer Influencerinnen, die dem weiblichen Empowerment, also der (Wieder-)Aneignung der Selbstbestimmung, eine Stimme geben: „In Bezug auf den Gesamtcontent bleibt das bei Instagram, Tiktok und Co. ein Nischenphänomen“, erklärt Klimpe. Das zeigen auch aktuelle Studien zu dem Thema: Eine repräsentative Umfrage unter 1000 Frauen und Männern zwischen 14 bis 32Jahren im Auftrag der Kinderrechtsorganisation Plan International“ etwa hat ergeben, dass die Ansichten über die Rollenverteilung beider Geschlechter mit zunehmender Social-Media-Nutzung stereotypischer werden. Demnach findet ein Drittel der weiblichen Befragten, die täglich Instagram, Facebook und Youtube nutzen, es völlig in Ordnung, dass Frauen weniger verdienen als Männer– immerhin sei der Haushalt ihre Aufgabe.
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In sozialen Medien dominieren noch immer klassische Schönheitsideale
Passend dazu dominieren der Auswertung nach klassische Schönheitsideale: Die Vorbilder sind schlanke Frauen und muskulöse Männer. „Wenn du fast magersüchtig bist, aber eben dünn, dann ist das oft besser angesehen, als dick und gesund zu sein“, sagt Sandra Wurster, gelernte Tanzpädagogin und Schöpferin einer Body-Positivity-Community. Dabei vergäßen viele Frauen, dass innere Leere nicht durch einen vollen Kleiderschrank gefüllt wird. „Die Beziehung zu uns selbst ist die wichtigste und längste, die wir haben. Sie braucht Arbeit und Pflege.“
Da setzt auch das Konzept von Wurster an: Um Frauen Mut zu machen, deren Körper nicht dem von Social-Media-Apps transportierten Schönheitsideal entsprechen, postet sie auf ihrem Profil „Bauchfrauen“ unter anderem Fotos von Menschen mit einem breiteren Hüftumfang oder Motivationssprüche wie „Du bist mehr als das, was man sehen kann“. Rund 46.000 Instagram-Nutzerinnen und ‑Nutzer folgen den Beiträgen der 30-Jährigen. Ihr ist es wichtig, ihnen etwas mit auf den Weg zu geben: „Wenn ich ständig nur an meinem Äußeren arbeite, bedeutet das nicht zwingend, dass das Gefühl zu mir selbst besser wird.“
„Frauen sind überproportional oft von Hassrede betroffen“
Ein gesundes Selbstbewusstsein, das ist nötig, um sich im Netz zu beweisen. Denn Frauen müssen in den sozialen Medien nicht nur mit den makellosen Körpern umgehen, die sie ständig zu sehen bekommen– was auch Männer betrifft. Bei Nutzerinnen kommt hinzu: „Frauen sind überproportional oft von Hassrede betroffen“, sagt Expertin Klimpe. „Women of Color, Frauen mit Behinderung oder Transfrauen noch stärker als weiße Cisfrauen.“ Das bekämen all jene mit einer großen Reichweite zu spüren.
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Influencerin Wittwer erreichen Beleidigungen vor allem via Tiktok, wo das Mindestalter bei 13Jahren liegt. Einerseits werde noch an Werten gearbeitet, andererseits fleißig kommentiert, schildert sie. „Was viele nicht verstehen: Beiträge, die nicht fundiert sind, bieten keine Diskussionsgrundlage.“ Negative Kommentare ignoriert die 31-Jährige deshalb. „Ich lasse sie einfach stehen.“ Wenn eines ihrer Videos viral geht – also besonders viel Aufmerksamkeit in den sozialen Medien bekommt–, erfahre sie besonders viel Hass. An beleidigende Kommentare hat sie sich aber offenbar gewöhnt. Nüchtern berichtet Wittwer: „Generell hält es sich die Waage, Hate-Speech macht vielleicht 12 bis 15Prozent der Reaktionen aus– das geht ja noch.“
Von ihrer Mission hält sie der Hass einiger Nutzerinnen und Nutzer nicht ab. Frauen wie Tara Wittwer und Sandra Wurster wollen auch weiterhin für alternative Schönheitsideale und feministische Inhalte eintreten– in dem festen Wissen, dass sie damit auch immer wieder anecken werden. „Es gibt die Bewegung, es gibt auch die Gegenbewegung“, fasst Expertin Klimpe zusammen. Letztlich sei für das weibliche Empowerment wichtig, dass Frau die Impulse aus dem Netz nutzt. „Es ist dann nachhaltig, wenn es nicht nur bei Instagram bleibt.“
Das Dilemma zwischen hochfrequenten Abbildern von Schönheitsidealen einerseits und feministischen Inhalten andererseits zeigt: Eine allgemeine Aussage, ob soziale Medien positive oder negative Auswirkungen auf Nutzerinnen und Nutzer haben, lässt sich nicht treffen. „Mich stört an vielen Studien, dass immer suggeriert wird, Social Media wären schuld an einem stereotypen Frauenbild, das junge Mädchen negativ beeinflusst“, sagt Klimpe. Denn in vielen Fällen sei das Netz auch nur ein Katalysator. „In dieser Frage geht es nicht um soziale Medien, sondern darum, wie die Gesellschaft strukturell mit Frauen umgeht.“